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Leinenpflicht

Da war sie wieder. Diese Frau mit dem sauertöpfischen Gesichtsausdruck, dem vom Dorf Friseur als voll im Trend aufgeschwatzten Vogelnest auf dem Kopf und einem Gesichtsausdruck der langfristige unfreiwillige Enthaltsamkeit vermuten ließ. Ich bin einigermaßen sicher, dass Helmut, der heimatverbundene Haarkünstler ihr auch noch eine lila Strähne länger lassen wollte, aber das war ihr dann doch zu verrückt. Es war diese Art von Frisur, mit der Frauen mittleren Alters üblicherweise das Erreichen der postsexuellen Phase ihres Lebens verkünden.

In ihrer Hand eine etwa 10m lange Schleppleine. Am anderen Ende dieser Leine ein Beageljunge der mit hängenden Ohren und hängender Rute körpersprachlich die ungebändigte Lebensfreude seiner Besitzerin widerspiegelte. Ich hatte sie schon oft gesehen, die Beiden. Scheinbar hatten wir so grob die selben Zeiten, um mit unseren Hunden spazieren zu gehen. Es bot sich immer das gleiche Schauspiel. Der Hund zog nur noch lustlos und verzweifelt an der Leine, er würde wohl niemals frei laufen dürfen.

Mein Hund hingegen schlumpelte aus freien Stücken neben mir her. Schaute ab und zu zu mir hoch, um sich zu versichern, dass ich noch da bin, während ich mich von ihrem lustigen WackelDackelgang hypnotisieren ließ. Unser abendliches Ritual. Unspektakulär und beschaulich.

Als wir ungefähr auf der gleichen Höhe waren wie die Vogelnest-Frau, wagte ich es: „wollen Sie nicht mal ihren Hund von der Leine lassen?“ fragte ich sie. Sie reagierte entsetzt. „Auf gar keinen Fall. Der würde sofort abhauen und niemals wiederkommen“ hörte ich sie sagen.

Ich dachte: „Was für ein kluges Tier.“

Mein Hund forderte den Beagle zum Spielen auf. Aber der konnte ja nicht darauf eingehen, er war an der Leine gefangen. Und so viel Anarchie war der Vogelnestfrau offensichtlich unangenehm.

Fragen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Es war doch nun wirklich nur eine Frage von wenigen Minuten, sich online über die grundlegenden charakterlichen Merkmale einer Hunderasse zu erkundigen. Warum nur schafft man sich einen Jagdhund an wenn man weder jagen möchte, noch er einfach mal Hund sein darf?

Am Ende vielleicht, um ihm seine genetische Bestimmung ab zu erziehen? Zu beweisen, dass eine Erziehung mit fester, beständiger Hand Wunder bewirken kann? 
In dem Fall muss man entweder gottgleich, vollkommen vermessen oder einfach strunzdumm sein. Auch Kombinationen dieser Eigenschaften sind denkbar. Projezierter Selbsthass wäre ein weiteres mögliches Erklärungsmodell. Das könnte zu der Frisur passen. Die Indizienlage ist nicht ganz eindeutig.

Ich dachte: „Was für eine schreckliche Frau.“

Ein paar Tage später, fast die gleiche Szene. Jedoch begleitete ein Mann, genauer gesagt ihr Mann, noch genauer gesagt ihr Männlein, die Vogelnestfrau und den Hund.

Der Gesichtsausdruck und die gesamte Körperhaltung des Mannes glichen der des Hundes. Ein elendes Bild. Obwohl er keine Leine trug. Man sah, das sie ihm die Klamotten rauslegte und sich auch für seine Frisur verantwortlich fühlte. Er stand gut im Futter, aber war nicht überernährt. Kein offensichtlicher Wartungsstau. Guter altersgemäßer Allgemeinzustand. Eigentlich ein durchaus ansehnlicher Mann. Ich wusste um sein stattliches Haus und sein schickes Auto. Lediglich seine Augen wirkten ein wenig stumpf und matt. Er schien vergessen zu haben, wie sich Lachen anfühlt.

Ich dachte: „Was für ein armer Mann.“

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