Kriegsgebiet
Irgendwann, vor einigen Jahren, bin ich angekommen. In der neuen Zeit. Nicht, dass ich das so gewollt oder gar geplant hätte. Manche Dinge geschehen einfach.
Ich habe mir eine App runtergeladen, auf mein Smartphone und ein Profil angelegt. Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl, damals. Fleischmarkt war ein Begriff, der mir in den Sinn kam. Die Sache mit den Frauen. Mit ihnen zu leben, hatte sich als ausgesprochen schwierig herausgestellt. Ohne sie zu leben, als noch ein klein wenig schwieriger.
Zugegeben, ich war deutlich über ein Jahrzehnt raus aus diesem Geschäft. Gebunden in einer staatlich legitimierten Version der Kriegsgefangenenschaft, im Volksmund auch gerne als eheliche Lebensgemeinschaft bezeichnet.
Also machte ich mich daran, mich den Herausforderungen einer neuen Zeit, einer neuen Epoche zu stellen. Nüchtern und sachlich betrachtet, schien sich die Anbahnung, vorwiegend sexueller Bedarfsgemeinschaften, aus dem alltäglichen Leben in den so genannten virtuellen Bereich verlagert zu haben.
Nun lernte ich erstmals, was der Begriff swipen bedeutet. Einfach so aus dem Affekt heraus nach links oder nach rechts wischen. Auf seine innere Stimme vertrauend, spontan Sympathie oder Desinteresse bekunden. Profil Informationen sind nur mäßig interessant und bleiben meist ungelesen. Bilder zählen. Filter zählen. Ab und zu liest man auch den Text. Jedoch, ich merkte schnell, das zu viel Offenheit und Ehrlichkeit in Profiltexten eher verstörend wirken können, sowohl von meiner Seite aus als auch von Seiten der Damen.
Selbst wenn man es noch so blumig umschreibt, Sätze wie: „Da meine Exfrau durchschnittlich pro Jahr 8-10 Kilo zunahm und ich sowohl ihr Körpergewicht als auch ihr Alkoholproblem als immer stärker werdende Belastung empfand, habe ich meinen Lebensplan geändert und ihrem Trennungswunsch nach einem vergleichsweise kurzen Zögern, von ganzem Herzen zugestimmt. Nun suche ich eine neue Frau, damit ich auch in Zukunft Probleme lösen muss, die ich ohne sie gar nicht hätte.“
will ja niemand lesen. Da mangelt es dann doch etwas an dieser Prise Romantik. Diesem Hauch von irrationalem Mysterium das unsere Pupillen etwas weitet und damit die Seh- und Denkschärfe nach unten korrigiert.
Auch Hinweise auf freie therapeutische und sexuelle Kapazitäten, diesbezüglich jeweils erworbene Fähigkeiten, Vorlieben und eventuelle Abneigungen eignen sich nur sehr bedingt zur Internet gestützten Paarungsanbahnung.
Auch auf der Bildebene ist es nicht ganz unkompliziert. Mit der Sonnenbrille auf der Nase, lässig an einen Sportwagen gelehnt, zieht natürlich auch nur ein sehr spezielles Klientel an. Tendenziell medizinisches Fach- und Hilfspersonal und speziell Krankenschwestern zeigen sich da empfänglich. Auch Bilder von primären Geschlechtsmerkmalen scheinen nicht wirklich erwünscht zu sein. Und das, obwohl wir uns in einer völlig übersexualisierten Welt befinden, wo Nacktheit in jeder Form zu jeder Zeit verfügbar ist. Also angesichts der Tatsache, das es gerade im Bereich des Datings und dessen Folgeerscheinungen ja durchaus zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen kann und oftmals auch soll, finde ich das zumindest bemerkenswert wenn nicht gar erstaunlich.
Noch erstaunlicher jedoch finde ich, dass man dazu aufgefordert wird, seine Bio auszufüllen. Mit messerscharfen Gedanken schloss ich, dass das wohl Biografie heißen solle. Nun drängt sich mir der Gedanke auf, dass es wohl mehrerer DIN-A4 Seiten bedürfe, um meine Biografie einigermaßen plausibel und leicht verständlich darzulegen. Jedoch sind für diese Bio nur wenige Zeilen vorgesehen. Wenn Dichter von dichten und damit von verdichten kommt, dann scheinen wir doch ein Land von Dichtern und Denkern zu sein. Erstaunlich, damit hatte ich gar nicht mehr gerechnet. Ich sah mich genötigt diese Herausforderung anzunehmen, wenngleich es mir widerstrebte.
Es schleicht sich die Frage ein, was Frau denn wohl gerne lesen möchte. Aber drehen wir den Spieß doch einfach mal um. Schauen wir uns doch mal die Profile an und was Frauen so schreiben...
Uih, das klingt ja gar nicht mal so gut. Aber relativ schnell scheinen sich so ein paar Klassiker heraus zu kristallisieren.
Bodenständig sind sie. Sie stehen gerne mit beiden Beinen fest im Leben. Klingt für mich nicht besonders aufregend. Da bewegt sich nichts mehr. Sie haben ihren Platz im Leben gefunden und verteidigen ihn gegen jeden Anflug von Spontanität oder gar Emotionalität. Kann man so machen. Machen viele so.
Ich muss irgendwie an die Betonschuhe denken, welche die Mafia in Ungnade gefallenen Mitbürgern verpasst, kurz bevor sie diese in einem sizilianischen Hafenbecken versenken.
Sie genießen ihr Leben in vollen Zügen. Klingt für mich nach einer BahnCard 100, nach überhitzten und von intensiven Körpergerüchen geschwängerten Abteilen. Wahrscheinleich ist ja etwas ganz anderes gemeint. Jedoch legt der Kontext die Vermutung nahe, das die betreffende Dame nur bedingt in der Lage ist, dieses Wortgebilde anmutig mit Sinn zu füllen.
Aber gut, weiter geht's.
Empathisch und loyal soll er sein. Wir kommen der Sache zumindest etwas näher. Das erscheint mir noch einigermaßen leistbar, auch wenn ich gewisse Zweifel hinsichtlich des Interpretationsspielraums dieser Begriffe habe. So ließe sich meines Erachtens nach und unter Beachtung des typischen Kontextes empathisch eher als pflegeleicht dekodieren. Loyalität hingegen scheint sich auf ein zumindest einseitig exklusives Nutzungsrecht für Geschlechtsteile des jeweils Anderen zu beziehen. Dieses stark verkürzte Deutungspektrum so zentraler Begriffe mag den ein oder anderen irritieren, scheint aber dem Erwartungshorizont der schreibenden Rechnung zu tragen.
Aber schauen wir weiter.
Es wird komplexer: Als veganer Feminist sehe ich mich jetzt nicht unbedingt. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, das Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten und die gleichen Chancen auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit haben. Aber dieser Instagram-Feminismus der letzten Jahre geht ja nun doch etwas an der eigentlichen Idee vorbei. Ich möchte nicht, wenn ich nach Hause komme, im Eingangsbereich, neben meinem Schlüsselbund, auch gleich noch meine Hoden ablegen. Und ich bin auch kein größenwahnsinniger Wellensittich, der ein Leben lang lustvoll in Salatschüsseln herumpickt und tatsächlich glaubt, damit die Welt zu retten. Diese vollmundig vorgetragenen Widersprüchlichkeiten zu ertragen ist nicht jedermanns Sache und im speziellen nicht meine.
Es scheint nicht ganz leicht zu werden. Es tauchen erste Zweifel auf, ob drastisch anwachsendes Übergewicht, ein, sagen wir „angespanntes Verhältnis“ zur Körperhygiene und eine Tendenz zum Alkoholismus nicht vielleicht doch dauerhaft akzeptabel gewesen wären. Aber - die Würfel sind gefallen.
Die Damen der Online Welt scheinen sich einen richtigen Mann zu wünschen, der dann aber doch eher eine art pflegeleichtes Männlein sein soll, das keine Widerworte gibt und je nach Bedarf auch in die Handtasche passt. Aber wenn es der Dame des Hauses beliebt, es in ihren Zyklus und sonstige Befindlichkeiten gerade mal passt, also quasi auf Abruf, ihr den ganz wilden Hengst macht.
Dieses Ansinnen erscheint mir nun nicht gerade ein Glanzlicht abendländischer Denkkultur zu sein. Hätte meine Oma meinen Opa so behandelt, gäbe es mich nicht. Denn mein Opa war ein Mann und meine Oma eine Frau. Sie wußten, was sie aneinander hatten. Und sie schätzten und ehrten sich dafür. Bis dass der Tod sie schied.
Aber vielleicht geht es ja genau darum nicht. Fleischmarkt. Der Gedanke drängt sich auf, dass es vielleicht auch „Rudis Reste Rampe“ heißen könnte. Was mache ich hier? Es ist schon etwas entwürdigend.
Doch wie können Alternativen aussehen? Ich wohne im ländlichen Bereich. Die Landflucht hat nicht viel übrig gelassen. Das gesellschaftliche Spektrum ist verzerrt, die Gesellschaft überaltert und nur wenige inspirierende Menschen haben freiwillig das Landleben gewählt oder sind einfach nur geblieben.
Ich bin hier hin geflüchtet. Weil ich die laute Stadt und die aufeinander gedrängten Menschen schlecht ertragen kann. Freiwillig geht anders.
Aber was finde ich nun vor in meinem Umfeld?
Ich hoffe, dass ich für diese Sätze nicht gesteinigt werde, dass kein aufgewiegelter Mob mit Fackeln und Mistgabeln des nächtens vor meiner Tür stehen wird.
Ich nenne es die ländliche Dreifaltigkeit: es handelt sich um die unseelige Kombination aus Bildungsferne, traditioneller Inzucht und konsequentem Alkoholmissbrauch.
Was so manches Volksfest im ländlichen Raum an menschlichem Elend zu Tage fördert legt demzufolge den Gedanken nahe, über den geographischen Tellerrand hinaus zu schauen. Die logische Konsequenz: Online Dating.
Doch, was man dann erlebt, lässt neue, andere Zweifel aufkommen. Je nach Alterskohorte ist das Maß der erlebbaren physischen und oder auch psychischen Verstümmelungen, kaum noch durch Wohlwollen zu kompensieren.
Ein kleines Zwischenfazit: Die jungen Damen träumen von möglichst rauer, pornotauglicher Sexualakrobatik, in mittleren Jahren träumen sie von einem finanzstarken, beständigen, aber ansonsten anspruchslosen Befruchteter und Versorger und im fortgeschrittenen Alter von einem Gefährten, der fügsam mit Ihnen bis ans Ende ihrer Tage die Leichen ihrer gestorbenen Träume betrauert.
Ups. Da sehe ich keinen Platz für mich. Vielleicht sollte ich doch wieder mehr aus dem Haus gehen und darauf vertrauen, dass dieser Funke, diese Magie noch einmal stattfindet. Mit Menschen sprechen statt mit den Fingern zu wischen.
Nüchtern betrachtet, ist Lotto spielen erfolgversprechender.
Vielleicht sollte ich mir einen Hund kaufen.